Ein außergewöhnlicher Fotograf war mein Großvater eigentlich nie. Aus welchen Anlässen er fotografiert hat, ist mir nicht genau bekannt. Wahrscheinlich fotografierte er – wie viele Familienfotografen – Szenen aus dem Familienleben. Einige seiner Familienfotos kenne ich. Bemerkenswert ist aber, dass seine Kamera nicht nur den Zweiten Weltkrieg, sondern auch ihn überlebt hat und nun eines der wertvollsten Stücke in meiner Sammlung von Fotoapparaten ist.
Seine Kamera war eine typische Kamera ihrer Zeit: eine Brownie No.2 Boxkamera, die zwischen 1901 und 1935 von der Eastman Kodak Company of New York hergestellt wurde. Vermutlich stammt seine Kamera sogar aus deutscher Produktion, denn 1921 hatte die britische Eastman Kodak Ltd. (London) mit der Heidelberger Gelatine-Fabrik Stoess & Co. GmbH unter dem Namen Chemische Werke Odin GmbH in Eberbach das erste deutsch-amerikanische Joint Venture nach dem Ersten Weltkrieg. Ende 1931 übernahm Kodak auch das Kamerawerk August Nagel in Stuttgart-Wangen. Heiligabend 1939 wurden die deutschen Kodak-Betriebe aufgelöst, nachdem sie mit Beginn des Zweiten Weltkriegs Feindvermögensverwaltung gestellt worden waren.
Warum ist seine Kodak Brownie No.2 so besonders?
Die Kodak Brownie war die erste Kamera, die eine große Verbreitung fand. Bereits 1921 waren mehr als 2,5 Millionen Stück produziert und verkauft worden. Zum einen war sie mit einem Preis von 2 US$ (heute ungefähr 55 EUR) für jedermann erschwinglich – im Jahr 1920 lag das durchschnittliche Monatseinkommen bei rund 120 US$. Zum anderen war sie so einfach zu bedienen, dass Kodak mit dem Slogan “You press the button, we do the rest! – Sie drücken den Auslöser, wir erledigen den Rest!” erfolgreich um Kunden werben konnte.
Die Produktion der Brownie war kostengünstig aus Holz und Karton gefertigt. Mit der Brownie No. 2 führte Kodak das im Vergleich zur Brownie No. 1 größere Mittelformat mit einer Bildgröße von 6×9 cm ein. In der Regel war es so, dass der Fotograf mit seiner Kamera zum Fotohändler ging, sich dort den Film einlegen ließ, danach seine Fotos schoss und mit dem vollen Film in der Kamera wieder zum Fotohändler ging, um dann die Kamera mit einem neuen Film, den Negativen und Abzügen wieder mitzunehmen.
Wie einfach das Fotografieren mit der Kamera ist, lässt sich schon am Gehäuse sehen: Neben einen Drehknopf zum Filmtransport hat die Kamera einen federgesteuerten Auslösehebel, der vor dem Drehknopf liegt sowie zwei weitere Hebel, mit denen man zwischen drei Blendenstufen und zwischen Langzeit- und Momentaufnahme wählen kann. Mit zwei kleinen optischen Mattscheibensuchern lässt sich grob abschätzen, was auf dem späteren Foto zu sehen sein wird.
Hergestellt aus mit Kunstleder überzogenem Karton, hatte die Brownie ein Objektiv aus einer Linse. Ab einer Entfernung von knapp 3m war das Bild scharf. Für kürzere Distanzen konnten sogenannte Portraitlinsen davor geklemmt werden. Dadurch konnten selbst unerfahrene Benutzer keine unscharfen Bilder produzieren. Blende und Verschlusszeit wurden in der Regel nicht angegeben. Aus der Literatur weiß ich, dass meist Blenden um f/8, f/11 und f/16 zur Verfügung standen, sowie die Belichtungszeit zwischen 1⁄25 sek. und 1⁄40 sek. lag. In der Regel hatten diese Kameras einen Rotationsverschluss, bei dem sich eine Scheibe in eine bestimmte Richtung bewegte, wobei ein Langloch den Strahlengang kurzzeitig freigab. In der Endposition blieb sie stehen und drehte sich beim nächsten Auslösen in die andere Richtung. Der Auslösehebel stand entsprechend einmal in der unteren, dann in der oberen Position, musste also abwechselnd in die eine und andere Richtung gedrückt werden. Einen Blitzanschluss sucht man vergeblich.
Die eingeschränkte Qualität der einlinsigen Objektive produzierte eher kontrastarme Bilder, weshalb gutes Sonnenlicht nötig war. Allerdings waren die meisten Box-Kameras ohnehin hauptsächlich im Sommerhalbjahr, insbesondere in der Ferienzeit im Einsatz. Neben der Kontrastarmut ließen sich Bilder der Box-Kameras an der Bewegungsunschärfe erkennen. Die lange Verschlusszeit verlangte nach möglichst unbewegten Motiven, laufende Menschen erschienen schon unerkenntlich, Aufnahmen von fahrenden Automobilen oder Zügen oder aus diesen heraus konnten nicht angefertigt werden.
Trotz aller Einschränkungen der Technik – mein Großvater hatte sicherlich seinen Spaß beim Fotografieren. Und seiner Familie gefielen die Aufnahmen, die machte. Für mich ein Grund mehr, einmal nach diesen Fotos zu stöbern.
Oder sollte ich vielleicht die Kamera einmal selbst ausprobieren?
Ich freue mich auf Eure Vorschläge und Anregungen…